1. Einführung in die Rheologie

1.1. Was ist Rheologie ?
1.2. Definitionen


 

1.1.  Was ist Rheologie ?

Das Wort Rheologie leitet sich aus dem griechischen Wort rheos=fließen ab. Damit ist Rheologie als die Wissenschaft vom Fließen zu verstehen. Doch was ist eigentlich Fließen?  Fließen ist eine fortwährende Deformation eines Materials unter Einwirkung äußerer Kräfte. Wie ein Stoff auf eine bestimmte Deformation reagiert, wie man diese Reaktion beschreiben, erklären und messen kann, das sind Fragen der Rheologie.

Die Deformation erfolgt beim Fließen (viskose Verformung) mit endlicher Geschwindigkeit. Damit unterscheidet sich das Fließen grundlegend vom elastischen Verhalten der Feststoffe, die auf eine Kraft sofort (unendliche hohe Deformationsgeschwindigkeit) reagieren. Auch erfolgt eine elastische Verformung unter Krafteinwirkung nur bis zu einem gewissen Grad. Ein viskoser Fließprozeß hält hingegen solange an, wie die Kraft wirkt. Der Unterschied zwischen diesen 2 grundlegenden Verhaltensweisen wird anhand von Abb. 1-1 und den dort dargestellten mechanischen Vertretern deutlich.

Reale Werkstoffe zeigen zum Teil nicht nur eine der oben genannten Verhaltensweisen. Vielmehr können Materialien auch mehere Verhalten aufzeigen, was insbesondere vom Deformationart- und stärke sowie Zeitmaßstab der Deformation und Beobachtung abhängt. Dieses Phänomen kann man sich bei Betrachtung einer großen Fensterscheibe vorstellen. Drückt man mit dem Finger in der Mitte der Scheibe, so erreicht man eine kleine Durchbiegung. Diese stellt sich nach Entlastung wieder zurück, ist also elastisch. Drückt man über mehere Jahre mit seinem Finger gegen die Scheibe, so fängt diese an, sich viskos zu verformen. Die resultierende plastische Verformung ist dann an einer bleibenden Durchbiegung sichtbar. Damit hat ein Material unter verschiedenen Deformationszeiten beide möglichen Verformungsarten gezeigt. Auch wird hier die Bedeutung der Begriffe plastisch und viskos deutlich. Die viskose Verformung bezeichnet den Prozeß der Deformation, während eine plastische Verformung das Endergebnis dieser viskosen Verformung ist. Als weiteren Begriff existiert die Plastizität als Eigenschaft eines Stoffes. Diese besagt, daß zu Auslösung einer Deformation des Materiales eine Mindestkraft angewendet werden muß. Abbildung 1-1 zeigt mechanische Körper, die in ihrem Verhalten die Plastizität bzw. die elastische und viskose Verformung beschreiben können.


Abb. 1-1 : Mechanische Vetreter für die grundlegenden Deformationseigenschaften

Materialien mit meheren Verhaltensweisen, wie die Fensterscheibe, können durch Kombinationen der in Abb. 1-1 dargestellten mechanischen Vertreter beschrieben werden. Dieses Beispiel sollte zeigen, wie kompliziert das Verhalten von fließfähigen Stoffen sein kann. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Fließfähigkeit nur für bestimmte Bedingungen gegeben und durch plastisches oder elastisches Verhalten überlagert ist. Auf die mechanischen Modelle zur Beschreibung rheologischer Verhaltensweisen werden wir im Kapitel 3.2 zurückkehren. Zunächst wollen wir uns einigen grundlegenden Definitionen der Rheologie zuwenden.

1.2. Definitionen


Abb. 1-2 : Grundlegende Deformationsbeanspruchungen

Im vorangegangenen Abschnitt tauchten die Begriffe der Deformationsbeanspruchung und Verformung auf. Bei der Beanspruchung eines Materiales kann zwischen den 3 Grundbeanspruchungen nach Abb. 1-2 unterschieden werden. Zug- und Druckbeanspruchungen wirken senkrecht auf die Oberfläche einer Probe bzw. eines Volumenelementes. Dagegen wirkt eine Schubspannung quer zur Oberflächennormalen. Die Größe der Beanspruchung wird durch die Spannung tij, d.h. die auf die Wirkfläche Aj bezogene Kraft Fi, beschrieben. Die Indizies bezeichnen jeweils die Raumrichtungen der Kraft (i) bzw. der Oberflächennormalen (j). Entsprechend bezeichnen Spannungen mit gleichen Indizies Druck- bzw. Zugbelastungen, während ungleiche Indizies auf eine Schubspannung hindeuten. Bei Betrachtung der Indizies werden die 9 möglichen Einzeldeformationen, die auf ein Volumenelement wirken können, deutlich. Diese können in einem Tensor, dem sogenannten Spannungstensor zusammengefaßt werden (Abb. 1-3).


Abb. 1-3 : Definition des Spannungstensors T

Durch die Beanspruchung des Volumenelementes wird dieses deformiert. Auch bei den Deformationen können 3 grundlegende Arten unterschieden werden, die bei Betrachtung von Abb. 1-2 bereits deutlich werden. Es sind die Dehnung, die Kompression und die Scherung. Beschrieben werden diese Deformationen durch relative Längenänderungen bzw. Änderungsgeschwindigkeiten (Abb. 1-4). Auch bei den Deformationen sind Kombinationen möglich und ein Deformations- bzw. Deformationsgeschwindigkeitstensor definierbar.


Abb. 1-4 : Deformationen und ihre Größen

Wie im vorangegangenen Abschnitt beschrieben, beschäftigt sich die Rheologie mit dem Deformationsverhalten von fließfähigen Materialien. In realen Geometrien werden die Stoffe häufig einer komplexen Deformation ausgesetzt. Dieses Verhalten kann durch Stoffkonstanten (z.B. Viskosität) beschrieben werden. Zur Ermittlung dieser Konstanten werden die Stoffe meist einfachen, definierten Deformationen ausgesetzt. Nur in speziellen Anwendungsfällen, wie zum Beispiel dem Fadenspinnen, werden die komplexen Deformationen in der Düse auch bei der rheologischen Messung (Rheotensversuch) nachgestellt. Zu den einfachen Deformationen gehören in erster Linie die eindimensionale Scherung und die ein- bzw. zweidimensionale Dehnung. Zunächst soll das Verhalten der Stoffe unter Scherung, die verbundenen Effekte und Grundgleichungen betrachtet werden. Dabei wird eine Einteilung in stationäre (Kapitel 2) und instationäre (Kapitel 3) Effekte vorgenommen. Kapitel 4 beschäftigt sich mit Normalspannungen und deren Auswirkungen , die beim Scheren eines Materials auftreten. Auf das Dehnverhalten und dessen Messung wird separat in Kapitel 5 eingegangen, bevor in Kapitel 6 das spezielle rheologische Verhalten disperser Systeme behandelt wird.